Montag, 24. März 2014

Der Indian Pacific

Als wir vorgestern Morgen aus dem Auto krochen, standen wir plötzlich mitten in einer Hochzeitsfeier. Ops! Wir hatten unwissentlich direkt vor einer Kirche geparkt. Alle Leute waren schick angezogen, wie sich das gehört, Krawatten, High Heels und Lippenstift und ich stand da mit verwuscheltem Haar, total verschlafen und barfuß in meinen Schlafklamotten. Irgendwie fand ich das urkomisch! :D Aber wir machten uns lieber schnell aus dem Staub, wir wollten niemanden stören. Zum letzten Mal zusammen frühstücken, diesmal im botanical garden mit Blick über die ganze Stadt. Eigentlich wollte ich dann noch etwas zum Essen für die nächsten Tage im Zug einkaufen, jedoch hatten alle Supermärkte am Sonntag geschlossen...Fair enough! -.- Dann eben direkt zum East Perth Terminal und einchecken! Also folgte nun die Verabschiedung von Jannis. DANKE noch einmal für alles!! :)
Ich bezog meinen Sessel im Red Service des Indian Pacific! Meine Augen leuchteten wie bei einem kleinen Kind! Den Red Service zu finden war bei diesem silberfarbenen Rieseb gar nicht so einfach. 750 Meter und 29 Wagons später erreichte ich mein Abteil. Das ich hier richtig war, konnte ich nicht zuletzt an den Passagieren erkennen. Während in der Gold Class fast ausschließlich Senioren in adretten Kostümen einstiegen, erwartete mich hier ein Pulk von Backpackern und ich sage mal "einfachen Leuten" mit Trolli und Plastiktüten. Das war mir auch gerade recht so. :) 


Ich ließ mich in den gut gepolsterten roten Sessel in dem hellblau verkleideten Raum fallen und ließ die Atmosphäre auf mich wirken. Der Wagon war aufgeteilt in 2 Sitzreihen á 2 Sitzplätze. Glücklicherweise blieb der Sitz neben dem meinem frei, so hatte ich mehr Platz. Wobei Platz hier wirklich kein Problem darstellen sollte. Das Gepäck konnte problemlos im Regal über unseren Köpfen verstaut werden, Beinfreiheit hatte man mehr als genug und einen freien Blick aus dem Fenster. Die Sonne schien mir in's Gesicht. Ich konnte es kaum erwarten, dass der Lokführer den Heizkessel anwirft! Beziehungsweise den kleinen grünen Knopf drückt. Leider ließ der Moment auf sich warten. Grund dafür waren technische Probleme in einem der vorderen Wagons. Carol, eine nette Dame im mittleren Alter und Nightmanagerin unseres Abteils, nutzte die Gunst der Stunde, stellte sich vor und erklärte alles, um eine angenehme Reise zu gewährleisten. Danach drehte sie das Radio an und wir wurden in der Wartezeit mit sanften Tönen von Mariah Carey und ihren Kollegen der damaligen Zeit bei Laune gehalten. Nach 1,5 h Verspätung sprach John, der Lokführer, über Lautsprecher zu uns, entschuldigte sich für die Verspätung. Kurz darauf bewegten sich die Räder auf den Schienen und ganz langsam rollten wir aus dem Bahnhof hinaus. Ich beschloss ein wenig an meinem Buch weiterzulesen. "Frühstück mit Kängurus". Bill Bryson beschreibt Australien, seine Städte, Menschen und Historie sehr gut, sodass ich neben der Unterhaltung sogar noch etwas lernen konnte. Zum
Beispiel verstand ich jetzt die Herkunft der Namengebung vieler Sehenswürdigkeiten, Gewässer und Straßen. Was mich jedoch wundert sind Doppelnamensgebungen. In Sydney gibt es Beispielsweise mehrere Victoria Roads, Victoria Lanes, Victoria Streets, usw. Gab es zu wenige berühmte Persöhnlichkeiten oder ist den Australiern einfach nichts mehr eingefallen? Ist das vielleicht auch der Grund dafür, dass rund 30% der Straßen gar keine Beschilderung haben? Oder es ist um Orientierungsesel wie mich grundlegend zu verwirren? Ich kann euch sagen: Das habt ihr geschafft! 
Plötzlich kam eine Frau in den Wagon, sie steuerte auf mich zu und riss mich aus meinen Gedanken. "Your name is Lisa, right?" Woher wusste sie das?! Was habe ich jetzt wieder angestellt? Ich sah, dass sie etwas schwarzes, ein kleines Säckchen in der Hand hielt. "You left this in your friends' car!" Sie lächte freundlich und übergab mir meine Sonnenbrille. Ich hörte meine Hand gegen die Stirn klatschen. Sie muss mir aus der Tasche gefallen sein! DANKE Jannis!! Da mein Akku leer war, konnte er mich nicht erreichen und beauftragte die nette  Dame mich zu suchen, mit Erfolg!
Ich schaute mich im Zug um. Einige Mitfahrer schliefen, andere lasen oder aßen eine Kleinigkeit. Der Junge neben stapelte sein Kleingeld und zählte es, danach machte er 3000 Fotos von Zug und Landschaft. Besonders fiel mir auch die junge Dame schräg gegenüber auf. Sie las ein Buch und naschte Chips. Meine Nasenflügel begannen zu flattern, die rochen sooo gut. Ich bekam riesige Augen, etwa so wie Pluto, wenn er ein Steak widdert. Als sie wenig später noch Salat, belegte Baguettes und Naanbrot auspackte dachte ich für einen kurzen Augenblick daran A- und B-Hörnchen zu spielen und überlegte, wie ich am geschicktesten etwas stibitzen könnte. Aber ich wollte nicht unfair sein, ich gönnte ihr ihr Glück. Ich aß 3-tagealtes Käsetoast und schaute aus dem Fenster. Wir waren längst raus aus der Stadt. Die Landschaft war ruhig, kleine Berge und Hügel breiteten sich aus, Wälder und kleine Flüße, die sich überall hindurchschlängelten. So verlief der ganze erste Tag. Ich genoss den Ausblick, las, hörte Musik, repeat. Bis es Abend wurde. Ein schöner Sonnenuntergang und schwubs war es dunkel. Die meisten Leute schliefen schon als ich meinen Schlafsack auspackte und die Sitzlehne zurückstellte. Um 11 Uhr wurde das Licht ausgeknippst. Ich war heilfroh meinen Schlafsack bei mir zu haben, denn es war richtig kalt! Mehrmals wurde ich wach, war ganz verdutzt, wo ich denn hier bin, klärte meine Gedanken, sah die ganzen anderen schlummernden Menschen um mich herum, was sehr lustig war, änderte meine Sitzposition und schlief wieder ein. Bis zum Sonnenaufgang. Ganz langsam wurde ich wach und schaute nach draußen. Es hatte sich etwas verändert. Die Landschaft war trockener geworden, die Erde rot und weit und breit keine Zivilisation mehr. Es sah wunderschön und ruhig aus. 
Ich machte mich frisch und zog etwas bequemes an, dann sackte ich wieder in meinen Sessel und wollte etwas frühstücken. Blöd gelaufen! Mein Müsli schien auch noch in Jannis' Auto zu liegen. Ich beschloss noch etwas zu warten und mir später Essen in der Cafeteria zu kaufen. Solange blätterte ich in meinem Neuseelandreiseführer herum und tastete mich daran eine Reiseroute zu planen. Zur lunchtime hatte ich nun wirklich Hunger, ich schaute mal nach, was man hier so essen konnte und entschied mich für eine relativ preiswerte Sausage Roll mit Ketchup im Matilda Café. Dass in der Blätterteigrolle etwas wurstähnliches drin war, wollte ich nicht bestreiten. Aber von welchem Körperteil oder gar welchem Tier konnte ich nicht definieren. 

Hier in der Cafeteria hielten sich viele Leute auf, lasen, tranken Café und unterhielten sich, saßen am Laptop oder luden ihre elektronischen Geräte auf. Ich breitete die neuseeländische Karte auf dem großen Tisch aus und plante weiter meinen 2-monatigen Trip quer über die grüne Insel. 
So sehr war ich darin vertieft, dass ich nicht mal merkte, dass dinner time war. 2 Schweden fragten mich, ob noch Platz an meinem Tisch frei wäre. Natürlich! Wir kamen in's Gespräch. Die beiden kannten sich auch nur aus dem Zug. Der eine war jung, vielleicht gerade 20, Backpacker. Im Übrigen war es der Junge mit dem vielen Kleingeld und der Leidenschaft unnütze Bilder in tausendfacher Ausführung zu schießen. Der andere war Halbschwede, halb deutsch, Sohn eines Kriegskindes, schätzungsweise Ende 40, arbeitet als nurse und schien sehr relaxt. Seine Mama kommt aus Berlin, wuchs im Krieg auf und war ziemlich arm dran, bis sie nach Schweden kam, wo sie aufgepeppelt wurde. Sie ging nach einigen Jahren zurück nach Deutschland, wo es sie aber nicht lange hielt. Seitdem wohnt sie in Stockholm. Er hat eine Tochter, die in Sydney wohnt und nahm sich jetzt eine Auszeit sie zu besuchen und ein wenig mehr von der Welt zu sehen. 
Wir unterhielten uns über Gott und die Welt, schauten den Sonnenuntergang an, schnackten noch ein wenig weiter bis es Schlafenszeit wurde. Das Licht im Wagon war bereits ausgeschaltet. Ein paar Leute lasen noch mit Nachtlicht, der Rest schlief. Mit offenen Mündern und schnarchend. Ich kam mir vor wie in einem überdimensional großen, langezogenen Wohnzimmer voller Fremder, die allesamt vor dem Fernseher, der tatsächlich natürlich gar nicht existierte, eingeschlafen sind, vielleicht eher ein Kino, dann musste der Film aber ziemlich schlecht gewesen sein. Wie auch immer, alle schienen sich wohlzufühlen, wie Zuhause, und schliefen tief und fest. Ich auch bald. Heute Morgen um 06:00 wurden wir durch eine Durchsage geweckt. In weniger als einer Stunde sollten wir Adelaide erreichen. Das ging jetzt aber schnell! Adelaide, Zivilisation, Handyempfang, Jesus! Das Personal bedankte sich, ebenso wie ich und wir gingen wieder getrennte Wege. Am Bahnhof schaute ich mir noch mal die ewig lange Schlange Wagons an, lunzte mal in den Gold Service rein, um zu sehen was ich verpasst habe, wurde blass vor Neid und ging schnell weiter, dann nahm mich auch schon Sager in Empfang. Mein neuer Travelmate für die nächsten 5 Tage.

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